Die Vermessung der Erde

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3.1.1 Namen und postalische Adressen

Allen geographischen Zuordnungen liegt das Verständnis einer eindeutigen räumlichen Zuordnung zugrunde. Die Deutschhaustrasse 10 in 35032 Marburg ist die postalische Kodierung für das Gebäude des Fachbereichs Geographie in Marburg.

Auch wenn nicht alle Menschen eine auf diese Weise verschlüsselte Raumposition entschlüsseln können, gibt es ein weltweites Netz von „Experten“, die mit Hilfe dieser Kodierung einen Brief des Reisebüro Maluti Travel & Tours in Maseru, Lesotho zum Deutschen Haus in Marburg transportieren können. Umgekehrt gibt die Kodierung „Maluti Travel & Tours, POB 14889, 0100 LNDL Building, Kingsway, Maseru Lesotho“ die Raumposition dieses Reisebüros an. Vielleicht kennen Sie aus Interesse oder Zufall die geographisch kodierte Position des Deutschhauses in Marburg, die Positionsangaben des LNDL Building in Maseru kennen jedoch mit annähernder Sicherheit nicht. Auch der Postbote kennt sicher nicht die geographischen Koordinaten der Empfängerorte, die er tagtäglich bedient – dennoch kommt die Post (meist) zuverlässig an ihrem Bestimmungsort an.

Das räumliche Referenzierungssystem hierfür funktioniert anders als über geographische Koordinaten, nämlich über Namen; es ist eine Kette von Namenskodierung vom Nationalstaat über die Region bis hin zum Gebäude. Wenn sich dieser Name ändert, wie beispielsweise von Karl-Marx-Stadt in Chemnitz, bleibt selbstredend der geographische Raumbezug erhalten. Natürlich gibt es Ortsnamen, die vielfach vorkommen, so z.B. London oder Neunkirchen. Eine eindeutige Referenzierung nach dem vorgestellten System ist nur dann möglich, wenn der Ort eindeutig durch ein übergeordnetes Zuordnungssystem identifiziert werden konnte. Die wichtigste Schlussfolgerung ist, dass in GI-Systemen zur Vermeidung von Redundanzen, Fehlern und Unsicherheiten zur Referenzierung unbedingt ein möglichst allgemeingültiges, zweckdienliches System verwendet werden sollte.

Abbildung 3: Orte haben eine absolute Lage im Raum. die Verortung mit Namen nutzt kognitive Fähigkeiten, Wissen und Interpretation derBetrachtenden. Unterschiedliche Ortsnamen zeigen die Wandelbarkeit nicht nur in geschichtlicher Hinsicht sondern auch aktuell. Dreisprachige Straßenbeschilderung im Grödnertal in Südtirol mit Ladinisch, Deutsch und Italienisch.Abbildung 3: Orte haben eine absolute Lage im Raum. die Verortung mit Namen nutzt kognitive Fähigkeiten, Wissen und Interpretation derBetrachtenden. Unterschiedliche Ortsnamen zeigen die Wandelbarkeit nicht nur in geschichtlicher Hinsicht sondern auch aktuell. Dreisprachige Straßenbeschilderung im Grödnertal in Südtirol mit Ladinisch, Deutsch und Italienisch. (Behrendes 2010)

Von Ortsnamen zu einem System der Orte

Versuchen Sie den Entwicklungsweg einer konkreten geographischen Verortung beginnend bei Ortsnamen bis hin zu einer abstrakten Verschlüsselung der Ortsnamen nachzuvollziehen. Als Beispiel kann die Geschichte der Informationsbeförderung seit der Antike dienen. In der Antike und bis in die Renaissance hinein musste „bekannt sein“ wo der Zielort für eine Nachricht oder Reise liegt und auf welchem Weg er auffindbar sein würde. Was früher ausschließlich sehr wertvolles Spezialwissen war, wurde aufgrund der Bedeutung für Politik, Gesellschaft und Ökonomie beginnend von einem System der Ortsnamen schrittweise über die Jahrhunderte zu einem System der Orte entwickelt.

Greift man nochmal das Beispiel der Postzustellung auf so hat die Thurn und Taxis Post erstmalig im 19. Jahrhundert (1853) in Deutschland Ortsnamen mit einem Zahlenschlüssel kodiert, der eine abstrakte, nachvollziehbare Identifikation der Raumposition dieser Orte möglich macht. Dieses seit dem 16. Jahrhundert entwickelte Spezialwissen sicherte der Familie Taxis zu Beginn die Aufnahme in den europäischen Hochadel und bis heute ein beachtliches Vermögen.

Überlegen Sie sich und notieren Sie für sich in Stichworten bzw. als tabellarische Liste, wie die Ermittlung des formalen Zustellwegs eines Briefes von einer beliebigen Adresse in Marburg zu einer beliebigen Adresse in Flensburg stattfindet.

Führen Sie dies für ein System der Ortsnamen (Variante 1) und für das aktuelle System der Briefbeförderung (Variante 2) durch (Berücksichtigen sie für Variante 1 der Einfachheit halber nur Orte > 50.000 Einwohner; zur Einführung in die aktuelle postalische Interpretation von geographischen Orten betrachten Sie die Abbildung von (Kruse 2005) auf Seite 10.

Denken Sie nach...

  • Gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen einer „geographischen“ Verortung durch Ortsnamen und einem System der Ortsnamen?
  • Was ist der zentrale Unterschied einer auf postleitzahl- bzw. adressenbasierten Verortung im Vergleich zu einer Verortung auf der Grundlage von Namen?
  • Kann nach Ihrem bisherigen Wissen ein GI-System mit einer Verortung durch Namen bzw. Adressen sinnvoll funktionieren?
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