Von räumlichen Analysemethoden zur Entscheidungsfindung

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7.1.10 Realitätsnahe Differenzierung - Gewichtete Verschneidung

Die Boolesche Verschneidung von binären Themenebenen bietet einen einfachen und schnellen Ansatz zur Eignungsanalyse mit GIS. Für viele Anwendungen stellt die Einteilung der Realität in zwei Kategorien („wahr“ oder „falsch“) allerdings eine ungenügende Abbildung der Realität dar.
Zunächst sind bei der Booleschen Verschneidung alle Einflussfaktoren per Definition gleich wichtig. Wir wissen aber, dass meisten nicht alle Kriterien die gleiche Bedeutung für eine Entscheidung aufweisen. Wer ein neues Auto kauft, mag Farbe und Marke des Fahrzeugs weit höher gewichten als etwa seinen Benzinverbrauch oder seine Pannenanfälligkeit. Dieses allgemeine Prinzip der Gewichtung von Einflussfaktoren wird auch bei der Eignungsanalyse mit GIS verwendet. Der entsprechende Ansatz heißt termgewichtete Verschneidung
Die Phänomene der Natur halten sich außerdem nicht an scharfe (diskrete) Grenzen und lassen sich vielfach nur unzureichend in eine binäre Logik übertragen. Für eine realitätsnähere dafür jedoch auch komplexere Modellierung möglicher Fragestellungen genügt die binäre Einteilung in „touristisch erschlossener Raum“ und „touristisch nicht erschlossener Raum“ nicht und es muss eine feinere Aufschlüsselung der Tourismus-Kriterien einbezogen werden. Binäre Informationsebenen sind für den Einfluss der räumlichen Variation des Jahresniederschlags genauso wenig wie für den Einbezug der mit der Distanz abnehmenden Störung der Straße oder einer Bar geeignet. Anstelle kategorialer skalierter Daten („Wald“ oder „Nicht-Wald“) müssen Interval- oder Ratiodaten (Prozentuale Waldbedeckung) verwendet werden.

In vielen Raumanalysen sind bestimmte Kriterien bezogen auf die Zielsetzung um ein Mehrfaches wichtiger als andere. Oft ist es gerade ein Anspruch an eine Standortsuche, mehrere geeignete Kandidaten darauf hin zu vergleichen, ob und wie stark sie einer Reihe von unterschiedlich wichtigen Kriterien entsprechen. Durch das Ebenenprinzip der GI-Systeme lässt sich die Verschneidung sehr einfach um die Idee unterschiedlich wichtiger Kriterien erweitern: Jeder Themenebene wird entsprechend ihrer relativen Bedeutung gegenüber den anderen ein numerischer Gewichtsfaktor zugeordnet. Anschließend werden die derart gewichteten Informationsebenen verschnitten wie bisher. Wie die Boolesche Verschneidung ist auch die gewichtete Verschneidung grundsätzlich sowohl im Raster- als auch im Vektormodell möglich. Die Tourismusexperten von Rarotonga könnten beispielsweise erklären, die negative Wirkung von Hotels und Bars sei für unser Alternativtourismuskonzept 0,1-mal so wichtig wie der Störfaktor von Quad-Trek-Routen durchs Binnenland. Die entsprechende Gewichtung ergäbe für die Hotels und Bars einen Gewichtsfaktor 1, für die Tracks hingegen 10. Es gilt zu beachten, dass die Wertebereiche der Eingangs-Informationsebenen normalisiert sein müssen (z. B. von 0 bis 1). In der entstehenden Eignungsebene werden die geeigneten Räume oder Standorte durch besonders hohe Werte identifizierbar.

Wölfe in St. Gittal

Der folgende Abschnitt untersucht die gewichtete Verschneidung am Beispiel des Wolfslebensraumes in St. Gittal. Im Hinblick auf eine realistischere Modellierung der geeigneten Lebensräume verwendet das folgende Beispiel nicht mehr ausschließlich binäre Eingangsdaten wie die Boolesche Verschneidung, sondern Ratiodaten:

  • Vegetationsdichte anstelle „Wald/Nicht-Wald“
  • Hangneigung anstelle „steil/nicht-steil“
  • Bevölkerungsdichte anstelle „Siedlung/Nicht-Siedlung“

Der wohl einfachste Ansatz für eine gewichtete Verschneidung bildet die gewichtete lineare Summation im Rastermodell. Die folgenden Punkte zeigen das Standardvorgehen bei der Anwendung dieses Algorithmus:

  1. Kriterienwahl: Der erste Schritt besteht in der Wahl der Kriterien, die den gesuchten Raum charakterisieren.
  2. Standardisierung: Nun müssen die unterschiedlichen Messskalen der Eingangsdatensätze aufeinander abgestimmt werden. Es ist wenig sinnvoll, die prozentuale Hangneigung direkt mit einer Bevölkerungsdichte zu verrechnen. Deshalb weist man den Eingangsdaten völlig verschiedene Einheiten einer standardisierten numerischen Indexskala zu (beispielsweise 0–1, 0–100, 0–255). Daraus folgt, dass die Werte der resultierenden Eignungsebenen keine Einheiten mehr tragen, sondern lediglich einen numerischen Eignungsindex. Die Zuordnung der Eingangswerte auf die Indexskala kann auf verschiedene Weise erfolgen, am einfachsten ist eine lineare Zuordnung. Bei der gewichteten Verschneidung bezeichnet die termStandardisierung die Übersetzung der heterogenen Eingangsdaten in eine für alle Ebenen einheitliche Skala.
  3. Verteilung der Gewichte: Weiter erhält jede Informationsebene einen Multiplikator, ein Gewicht. Die Gewichte widerspiegeln die relative Bedeutung der Informationsebenen zueinander. Die wichtigste Ebene erhält das größte Gewicht. Die richtige Wahl der Gewichte wird in „Bestimmung der Gewichte“ behandelt.
  4. Anwendung des Algorithmus: Beim Algorithmus der gewichteten linearen Summation werden alle Rasterzellen einer Informationsebene mit ihrem Gewicht multipliziert und die Ebenen anschließend addiert. In der resultierenden Eignungsebene weisen die geeigneten Rasterzellen hohe, die ungeeigneten hingegen tiefe Werte auf.
Weighted Overlay im RastermodellWeighted Overlay im RastermodellWeighted Overlay im VektormodellWeighted Overlay im Vektormodell

In dieser Darstellung erhielten die beiden Eignungskriterien für den Wolfslebensraum in St. Gittal Gewichte entsprechend ihrer relativen Bedeutung. Die Infomationsebene „bewaldet“ wird mit dem Faktor 3 gewichtet, diejenige mit dem Kriterium „steiles Gelände“ mit dem Faktor 2. Nach der Zuweisung der Gewichte werden die beiden Ebenen addiert. Die Eignungswerte der resultierenden Informationsebene reichen von 0 (ungeeignet) bis 5 (sehr geeignet).

Denken Sie nach...

Die nachfolgende interaktive Beispielanwendung gibt Ihnen die Möglichkeit, selbst für die Gemeinde St. Gittal eine Eignungsanalyse zur Bestimmung potenzieller Lebensräume des Wolfs durchzuführen. Bestimmen Sie, wie die Eingangs-Layer standardisiert und gewichtet werden sollen. Nutzen sie hierzu die folgenden Informationen:

  1. Kriterienwahl: Sie haben bereits früher gelesen, dass der Wolf dichte Vegetation und steiles, steiniges Gelände bevorzugt. Neu können Sie nun auch berücksichtigen, dass er die Nähe zur Siedlung eher meidet. Folgende Informationsebenen stehen Ihnen zur Verfügung:
    • Walddichte (oberste Zeile): Räume mit einem Bewuchs von 0 bis 100% Wald.
    • Hangneigung (mittlere Zeile): Neigungsklassen von <10%, 10% bis 30% und >30%.
    • Siedlungsdichte (unterste Zeile): Die Themenebene der Siedlungsdichte beinhaltet Räume mit 0, 100 und 200 Einwohnern pro Hektare.
  2. Standardisierung: Alle Eingaberaster müssen nun auf den Wertebereich von 0 bis 1 umgerechnet werden. In der Animation müssen Sie die Werte 0 und 1 in die dafür vorgesehenen Felder eintragen. Beachten Sie, dass bei gewissen Themenebenen zusätzlich zur Standardisierung auch noch der Wertebereich invertiert werden muss. Dies geschieht immer dann, wenn ein hoher Wert der Eingangsebene ungeeignet für den Wolf ist und deshalb den Wert 0 erhalten muss.
  3. Verteilung der Gewichte: Nun müssen Sie als Wolfsexperte oder -expertin den einzelnen Ebenen Gewichte zuweisen. Tragen Sie dazu die Gewichte in die Felder für die Gewichtung ein. Weisen Sie dem schützenden Wald die größte Bedeutung zu und gewichten Sie die Waldebene mit 5. Die Hangneigung erhält das Gewicht 3, die unbesiedelten Gebiete das Gewicht 2.
  4. Anwendung des Algorithmus: Die gesuchte Eignungsebene ergibt sich aus der Multiplikation der Ebenen mit ihren Gewichten und der abschließenden Summation der Ebenen. Ein Klick auf die Taste „Berechnen“ liefert die Resultate. Die nach den getroffenen Annahmen geeignetsten Lebensräume für den Wolf weisen nun die Werte zwischen 7,5 und 8,5 auf. Ungeeignete Gebiete tragen niedrige Werte bis hin zu ungeeignet (= 0).

Nun liegt es an Ihnen, weitere Standardisierungen und Gewichtungen auszuprobieren. Experimentieren Sie mit extremen Gewichtsverteilungen. Achten Sie jeweils darauf, wie sich die resultierende Eignungskarte verändert und interpretieren Sie die Resultate.

Beispiel einer einfachen gewichtete lineare Summation von Kriterien zur Entscheidungsfindung (GITTA 2005)
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