Repräsentation geographischer Weltsichten

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2.1.1 Notwendigkeit und Grenze geographischer Repräsentation

Ein typisches Beispiel für die Komplexität alltäglicher Realweltabstraktionen sind die Wetternachrichten im Fernsehen. Wenn wir sie anschauen, werden wir von (bewusst kaum wahrgenommen) wechselnden digitalen erzeugten Karten konfrontiert. So kann man etwa während der Wetterlage eines Islandtiefs mit einfachen Wolkensymbolen, die eine bildliche Signatur für Niederschlag in Form von Tropfen oder Schneekristallen enthalten, auch die in verschiedenen Grautönen visualisierten Wolken als Satellitenbildfilm anschauen. Solche Filme ermöglichen eine verständliche und anschauliche Darstellung der raum-zeitliche Dynamik des Tiefdruckwirbels, der Wiederum eine typische konzeptionelle Vorstellung des Wettergeschehens der Mittelbreiten ist. Niemand käme auf die Idee diese aus Satellitendaten abgeleitete, stark vereinfachte Beobachtung für das reale Wettergeschehens zu halten. Gleichwohl gibt uns die Animation eine gute Vorstellung wie die Wettersituation in Europa auf einer groben Skala der Betrachtung ausschaut. Obwohl wir so eine gute Vorstellung von der Wolken- und Wetterdynamik bekommen, entspricht diese Vorstellung keinesfalls unserer Wahrnehmung, falls wir etwa zur gleichen Zeit in der Stadt oder auf dem Wochendtrip, dieses Wettergeschehen direkt beobachten würden. Die Wolken und Temperatursymbole oder das Satellitenbild sind (zeitliche und räumliche ) Repräsentation des Wettergeschehens. Es ist ein Modell, gebildet aus unserer Wahrnehmung von visuellen Eindrücken, die einen gültigen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen den repräsentierten Wolken und den realen Wolken implizieren. Dies hilft uns die chaotische Dynamik von Wolken vereinfacht abzubilden und in der Wettervorhersage verständlich interpretierbar zu machen.

Wie wir bereits in der ersten Lerneinheit erfahren haben, werden solche Vereinfachungskonzepte regelhaft sehr erfolgreich angewendet. Geographische Repräsentationsschemata sind folglich die Grundlagen für eine nachvollziehbare Interpretation von raum-zeitlichen Aspekten. In der Wissenschaft ist es üblich, dass hierfür als gesichert geltende Regeln (Axiome) definiert und verwendet werden. So implizieren wir in der Geographie häufig, dass der Zusammenhang von räumlichen Phänomenen mit zunehmender räumlicher Nähe stärker wird. Im Jahr 1970 hat Waldo Tobler das sogenannte 1. geographische Gesetz formuliert. Es lautet:"Everything is related to everything else, but near things are more related than distant things " (Tobler 1970). Natürlich ist diese Regel kritisch zu reflektieren. So zeigt etwa Benno Werlen in seinem handlungszentrierten Ansatz auf, dass nicht nur reale Nachbarschaftsbeziehungen von Objekten oder Merkmalsausprägungen Raumkonstrukte ermöglichen, sondern Räume eben auch durch z.B. handelnde Menschen, die nicht notwendigerweise in räumlicher Nachbarschaft agieren, sozial konstruiert werden können (vgl. z.B. (Werlen 1993).

Auch in der quantitativ naturwissenschaftlich orientierten Repräsentation der Welt ist das Konzept von Nachbarschaft nach Tobler nur für manche Zusammenhänge gültig. So ist etwa die Konzentration von Stickstoff in der Atmosphäre vergleichsweise homogen und kontinuierlich während beispielsweise geologisch kontinuierliche Einheiten an Kontinentalplatten oder Störungen von einem Meter zum nächsten die nachbarschaftlichen Zusammenhänge geradezu konterkarieren. Definieren wir also GI Systeme als Werkzeuge, die nach den Regeln der Informationsverarbeitung zu bedienen und zu nutzen sind (vgl. Lerneinheit 1), dann müssen wir einen Weg finden, um Raum und räumliche Zusammenhänge auf sinnvolle Weise zu definieren und integrieren.

Kommen wir noch einmal auf das Thema der Welt als Informationsmosaik zurück. Wie bereits mehrfach diskutiert wurde, sind die Zusammenhänge der realen Welt in der Regel so komplex, dass sie nur in einer generalisierten Form verständlich darstellbar oder analysierbar sind. Schon im Alltag konstruieren wir kontinuierlich sogenannte mentale oder kognitive Modelle zur Vereinfachung unserer Weltwahrnehmung (Rasch 2006). Dieser Umstand ist auch in den Wissenschaften bekannt. So notiert der Physiker Bridgman 1927: "I believe that the model is a useful and indeed unescapable tool of thought, in that it enables us to think about the unfamiliar in terms of the familiar" (Bridgman 1927), während 1972 der Modellierer Rivet schlicht behauptet: "The History of mankind is the history of model building." (Rivett 1972)

Die Perzeption und Interpretation der „realen Welt“ sowie die Entwicklung geeigneter Strategien für den praxistauglichen Umgang mit dieser Welt, findet mit dem Hilfsmittel der Abstraktion und Kommunikation ( = Modellbildung) statt. Die Strategien der Abstraktion sind widerstreitend und vielfältig, da Kontextabhängigkeit und Zielsetzung des Abstrahierenden einen wesentlichen Einfluss auf die Resultate ausüben ("Methode Götterblick" s.a. (Eckmüllner 2007)

Die Interpretation der perzipierten „realen Welt“ sowie die Entwicklung geeigneter Strategien für den praxistauglichen Umgang (=Abstraktion)  mit dieser Welt, findet mit dem Hilfsmittel der Modellbildung statt.Die Interpretation der perzipierten „realen Welt“ sowie die Entwicklung geeigneter Strategien für den praxistauglichen Umgang (=Abstraktion) mit dieser Welt, findet mit dem Hilfsmittel der Modellbildung statt. (Reudenbach 2009)

Das heißt die gewählte Abstraktion der räumlichen Welt ist, wissenschaftlich betrachtet, bestenfalls nachvollziehbar und transparent aber niemals wahr. Auch garantiert die logische Validität der Abstraktion weder die Gültigkeit abgeleiteter noch allgemeiner Aussagen. Ob das konstruierte Modell der Wirklichkeit entspricht, also richtig ist, lässt sich daher nicht beweisen. Bestenfalls lässt sich die Gültigkeit für den definierten Zweck nachweisen, nie aber Wahrheit (Bossel 2004).

Trotz dieser enormen Einschränkung werden Repräsentationen des Raumes permanent und dringend benötigt, um formal räumliche Informationen zu dokumentieren, zu analysieren und zu kommunizieren. Oft sind mehrere oder variable Repräsentationen notwendig um die Realität ausreichend genau abzubilden.

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